6. April 2012

Cthulu Fthaghn Handelsblatt!

Filed under: Freiheit,Kunst,Piraten,Politik — Tags: , , , , , , — zettberlin @ 00:38

Beim letzten Mal hatte ich mich gewundert, dass sowohl Michel Houellebecq als auch Steven King die Leserinnen und Leser von Horrorliteratur stillschweigend in die Gruppe der Opfer, jedenfalls der Angegriffenen in den Geschichten dieses Genres eingereiht hatten.
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Beide unterstellen den Lesern einen Abscheu gegen die Monster und überhaupt gegen die bad boys von fantastischen Geschichten. Schon bei oberflächlicher Betrachtung wird deutlich, dass diese Einschätzung nicht ganz korrekt sein kann.

Als George Lucas um die Jahrhundertwende die erste Trilogie seines alten Star Wars Films herausbrachte, erschienen zeitgleich die üblichen Merchendize-Artikel. Natürlich auch Spielfiguren der Charaktere von Episode 1. Keine dieser Figuren hat sich besser verkauft als Darth Maul: der schweigsame, tierisch fiese Auszubildende des Sith-Lords Darth Sidious. Die Firma Diamond Select Toys eröffnete die erste Serie mit 1:4 großen Modellen von Star Wars Figuren mit Darth Maul und die 50 Dollar teure Figur ist heute nicht nur vergriffen, sie wird für Preise um die 200$ gehandelt.

Sieht fast so aus, als würden sich einige Star Wars Fans gefährlich stark von der dunklen Seite der Macht angezogen fühlen… Nun, soweit ich das sagen kann, abgesehen von den wahrlich fantastischen Landschaften, Bauten und Beförderungsmitteln in Episode 1 und abgesehen vom Charisma von Ewan MacGregor war Darth Maul der wichtigste Grund für mich, die an sich triviale Story und die dämlichen Dialoge von Episode 1 hinzunehmen. Unter anderem, weil sich Darth Maul auch so gut wie gar nicht an dem albernen Geschwafel beteiligt hat. Sein Kostüm präsentiert ein etwas echsenhaftes Wesen in einem Ringgeister-Mantel, stets würdevoll und kontrolliert, gleichzeitig unsagbar wild und gefährlich athletisch: Was kann sich ein junger Mann besseres wünschen als Folie seiner Ambitionen?!

Da Darth Maul eben nicht spricht, kann man ihm alles in den Mund legen und wenn er allein vor dem Reaktor auf Naboo aufmarschiert und ohne ein Wort deutlich macht, dass es schwieriger wird an ihm vorbei zu kommen als an hundert stumpfsinnigen Kriegsrobotern, verkörpert er die rücksichtslose Freiheit des Ungebundenen: unzivilisiert, brutal aber mit tänzerischer Geste und in vollendetem Stil.

Und zu Cthulu ist es nur ein kleiner Schritt.

Und nun zur Frage, was hat Lovecraft heute zu bedeuten:

handelsblatt.com/politik… was-keinen-preis-hat-hat-in-der-marktwirtschaft-keinen-wert…

Das Handelsblatt hatten wir hier schon: Herr Heveliung hatte sich in demselben zur Netzgemeinde im Verhältnis zu den Schriften eines von ihm (Hevelik) selbst halluzinierten “Jaron Lavier” ausdrücken dürfen. Ob er dafür einen Preis kassiert hat, ist schwer zu sagen, jedenfalls behauptet ein Sven Prange jetzo, dass ein geistiges Konstrukt nichts wert sei, so es nicht dank Einschränkung seiner Verfügbarkeit, der marktwirtschaftlichen Preisbildung teilhaftig werden könne.

Die Einfalt dieses Gedankens ist phänomenal und ich denke, ich habe hier tatsächlich ein Artefakt der Kultur des 21sten Jahrhunderts entdeckt, wofür ich sicher nach der Einführung desselben einen Nobelpreis in Kulturwissenschaft bekommen werde.

Ich nenne es: Tunnelkurzschluss.

Freilich kann man behaupten, dass etwas ohne Preis keinen Wert besitzt, dazu muss man aber in einem Tunnel verharren, in dem Wert nur aus finanziellem Umsatz besteht. Solche absichtliche Deprivation ist eine beliebte und völlig akzeptable Technik zur Durchführung von Gedankenexperimenten: wenn die tatsächlichen Umgebungseinflüsse zu komplex für eine Untersuchung sind, schließt man einzelne Aspekte solange aus, bis sich der Blick auf einen Teilaspekt klärt, den man gerade untersuchen möchte.

Prange und die Kurzgeschlossenen seinesgleichen versuchen allerdings den Tunnel ihres Gedankenexperiments, in dem ein imaginärer “Markt” als Modell des Lebens, des Universums und des ganzen Rests herhalten muss, mit der tatsächlichen Welt kurzzuschließen.

Demnach wären Lovecrafts Werke ohne Wert, denn einen Preis haben sie seit dem 70. Todestag ihres Verfassers am 15. März 2007 nicht mehr. Komischerweise entfalten sie aber immer noch eine erstaunliche Wirkung. Können wertlose Dinge etwas bewirken Herr Prange?

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Das Werk Lovecrafts ist ein geradezu perfektes Beispiel für das, was mit populärer Kunst geschehen kann, wenn ihr Uhrheberrecht so behandelt wird, wie es die radikaleren unter den Piraten vorschlagen. Ich gebe zu, dass auch ich immer wieder schlucken muss, wenn ich einen Piratenvertreter sagen höre “Es muss dem Autor nicht gefallen, was der Remixer mit seinem Werk macht.”

Garstig aber wohl konsequent denn letztlich entsteht Kunst immer auch beim Rezipienten. Sobald ein Werk veröffentlicht ist, wird es verfremdet, indem es sich die Leute da draußen “aneignen“, wie man so sagt. Die Werke Lovecrafts müssen gar nicht “remixt” werden, um ganz anders als gemeint bei ihren Lesern anzukommen.

Der alte Gentleman hatte sicher vieles mit seinen Stories bewirken wollen aber bestimmt nicht, dass rebellische junge Leute zu ihren Monstertattoos Tshirts tragen, auf denen “What the Fthaghn!” steht. Und? könnte er das verhindern, wenn er noch immer das alleinige Urheberrecht an seinen Schöpfungen hätte? Nach deutschem Urheberrecht könnte er, in den USA würde ihm meist die pauschale Parodiefreiheit im Wege stehen.
Und was würde er damit bewirken? In der Tat sind die meisten Wiederbelebungen von Lovecrafts Werken und Motiven zumindest teilweise nicht im Sinne des Verfassers gestaltet. Die meisten haben eine deutliche Schlagseite in Richtung Parodie und einige sind der Intention Lovecrafts direkt und ernst gemeint entgegen gesetzt:

Der Tunnelkurzschluss von Houellebecq und Steven King ist, dass sie die literarisch-handwerklichen Aspekte der Entstehung von Literatur, das Ringen der Person des Autors mit seinem Stoff, mit dem gleich setzten, was den Charakter des Werks prägt. Dieser Charakter entsteht aber beim Leser und der formt aus Lovecrafts Angstvorstellungen einen höchst vergnüglichen, anarchistischen Anschlag auf die graue Welt der kleinbürgerlichen Ordentlichkeit. Wenn ein heutiger Leser von “The Call of Cthulu” Abscheu und Empörung verspürt, dann eher an den Stellen, in denen die Polizisten die Anhänger des Kults umbringen oder wenn abwertend rassistisch über die Rituale der “Esquimaux” geredet wird. Der Aufstieg R’lyehs und der Ausbruch Cthulus aus seiner Gruft bewirken eher Gefühle von Faszination und Begeisterung “Ja! Zeig’s diesen blöden Spießern, großes, fieses Monster!

Und diese Faszination hätte ein Autor, der genauso tickt, schwerlich genauso hinbekommen.

Es ist gerade die echte Furcht, Lovecrafts tief empfundener Abscheu vor allem, was sich unter der Wasseroberfläche verbirgt, die Cthulu, Dagon, Yogg Sothot und Konsorten so erstaunlich lebendig und echt wirken lassen. In ihnen fließt das Herzblut des Kleinbürgers Howard Phillips Lovecraft, des “alten Gentlemans“, der an der US-Ostküste der 1920er Jahre als ein lebendes Fossil existierte.

Vielleicht sollten wir von Zeit zu Zeit innehalten und bedenken, dass wir uns recht eigentlich an den Zuckungen eines armen Irren ergötzen, der voller Entsetzen seine Albträume schildert, die für uns aufregende Abenteuer sind.

Und das alles, ohne zu bezahlen, weil wir nämlich auch niemanden um Erlaubnis für den Zugriff fragen müssen.

Wann gibt es endlich die Blockbuster-Verfilmung von Call of Cthulu oder Mountains of Madness? Peter Jackson wäre genau der Richtige dafür, Guillermo del Toro und Ridley Scott könnte ich mir auch vorstellen, vielleicht auch erst mal Arthouse von David Cronenberg oder David Lynch? Jedenfalls immer ohne Verlagsanwälte im Nacken und ohne den Zwang, erst mal ein Budget für irgendwelche Exklusivrechte zusammen zu bringen.

Lovecrafts Werk ist durch sein Heraustreten in den ungeschützten Zustand der Gemeinfreiheit am 15. 03. 2007 weit über seinen Autor hinausgewachsen. So, wie Kinder über ihre Eltern hinauswachsen. Und wie Kinder ihre Eltern zwangsläufig unsterblich machen, machen das frei flottierende Call of Cthulu, Dunwich Horror, Behind the Wall of Sleep, Mountains of Madness und all die anderen höchst eigentümlichen Werke Lovecrafts auch ihren Autor unsterblich. Auf eine Art, die Howard Phillips, der alte Gentleman, sehr wahrscheinlich höllisch genannt hätte aber immerhin unsterblich: herausgehoben aus dem grauen Nichts des Vergessens, solange es Computernetze gibt, für immer.

Da nun Unsterblichkeit nicht als Produkt mit Preisschild angeboten wird, wäre sie laut den Marktwirtschaftlern vom Handelsblatt “nichts wert“. Eigentlich erfreulich, dass Leute, die so denken, nicht daran interessiert sind, dass ihre Gedanken weiter leben. Man stelle sich vor, wie in 100 Jahren die Leute den Kopf schütteln, wenn sie lesen, dass einer ihrer Vorfahren das elende, öde Geschwafel von Milton Friedman nachgeplappert und gar für Wissenschaft gehalten hat. Das wäre für die Autoren vom Schlage Prange noch peinlicher als die “What the Fthaghn”-Shirts für Lovecraft.

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Fitting perfectly well into the colours of a meadow since the late Cretaceous. Some 130 million years of learning can do wonders, methinks...