4. December 2019

Schädelpokale: zur Ascheaktion des ZPS 2019

Filed under: Allgemein,Freiheit,Kunst,Politik — zettberlin @ 17:32

Die Leute vom “Zentrum für politische Schönheit” sind postmoderne Schnösel: wichtigtuerische, mit Mediennarrativen vollgestopfte junge Menschen ohne viel Erfahrung, die irgendwas mit Medien studiert haben. Aber so abgehoben und wichtigtuerisch und ete petete ihre Arbeiten auch sind, eines sind sie nicht: gedankenlose Selbstdarstellungen, die um des Effektes willen auf Menschen herumtrampeln.

Das gilt vollständig und ganz besonders auch für ihre Inszenierung angeblicher “Asche von Holocaustopfern” als Designobjekt mitten in Berlin.
Dass das ZPS die Aktion am 4. Dezember 2019 abgebrochen hat, um weiteren Stress für die zu vermeiden, die sie nicht treffen wollten, tut dem keinen Abbruch.

Im Gegenteil: der Intelligenz und Sorgfalt, mit der diese Inszenierung aufgebaut war, gebührt Respekt.

Worum geht es eigentlich: Das ZPS hält den Menschen, die in Berlin einen deutschen Kulminationspunkt der westlichen Zivilisation besuchen, etwas vors Gesicht, das in jeder Hinsicht entsetzlich ist. Und es gestaltet diesen Blick in einen Abgrund auf sardonische Weise attraktiv, ohne dabei die widerwärtige Moralinsucht erkennen zu lassen, die mit dergleichen oft verbunden ist. Für Leute mit diesem soziokulturellen Hintergrund ist das bemerkenswert kühl sachlich, man kann auch sagen: redlich.

Die Reaktionen, die sich um die Totenruhe Sorgen machen und besonders die, die besorgen, dass jüdische Rituale geschändet werden könnten, richten den Blick auf das, worum es wirklich geht: den Bruch mit der Zivilisation, der die Shoa gewesen ist. In einer Zeit, in der die Neue Rechte Faschismus als Meinungsprodukt auf den Markt wirft, zeigt das ZPS, was die Konsequenz von Faschismus ist.

Und das ist nicht “Barbarei” und “Kulturbruch”, sondern radikaler Bruch mit der Zivilisation im Namen einer neuen, bestialisch menschenfeindlichen Kultur. Diese Kultur ist durchaus nicht “primitiv”, sondern durchdacht und in sich schlüssig. Sicher nicht so komplex wie die der Zivilisation auf Gedeih und Verderb verpflichtete Kultur der bürgerlich liberalen Demokratie, aber durchaus ebenbürtig in Wirksamkeit und Konsistenz. Faschismus ist ein politisches und vor allem kulturelles Konzept, das viel Zukunft haben kann, wenn es nicht konsequent verhindert wird.

Warum es verhindert werden muss, zeigt ZPS in vorbildlicher Weise: die Hitlerfaschisten haben die Juden, Sinti, Roma, “Euthanasie” Opfer etc und ihre politischen Gegner nicht einfach getötet, sie haben sie vernichtet.

Einige, teils unbewusste Apologeten des Hitlerreichs verweisen auf die Abermillionen Opfer des Kolonialismus. Haben nicht die Spanier in Südamerika ganze Völker ausgelöscht? Haben nicht die Briten ganz bewusst den Hungertod von Millionen Menschen provoziert und Aufständische von Kanonen zerfetzen lassen? Haben nicht Belgier Kongolesen Hände und Füße abhacken lassen, um sie zur Zwangsarbeit zu zwingen und wo sind die Hunderttausenden Menschen, die vor der belgischen Herrschaft im Kongo friedlich gelebt haben und die heute “verschwunden” sind? Was ist mit den Sioux und den Huronen und den Mohawks in Nordamerika? Haben ihnen nicht europäische Einwanderer vergiftete Nahrungsmittel und mit Pocken und Masern verseuchte Decken geliefert?

Ja, haben sie: wir Europäer haben unsägliche Raubmorde an vielen Völkern dieser Erde begangen.

Aber die Briten haben nicht aktiv die Begräbnisriten der Inder verhindert, die US-Amerikaner haben nicht die Sioux in Arbeitslager gesperrt und vergast und die Belgier haben sich keine Lampenschirme aus der Haut von Kongolesen gemacht.
Der Kolonialismus war geprägt von Rücksichtslosigkeit und Brutalität aber nicht von einem geistekranken Vernichtungswillen, der auch die eigenen, simplen Gewinnbestrebungen ignorierte. Fügsame, unterwürfige Inder wurden von den Briten bei Bedarf in die Workforce aufgenommen und damit auch versorgt, ausgebeutet als Untertanen zweiter Klasse aber nicht als “Untermenschen” vernichtet. Ganz bürgerliche deutsche Ärzte und Wissenschaftlerinnen aber wurden vergast wie alle anderen, wenn sie Juden waren.

Kultur ist, wenn man sich ein Trinkgefäß aus dem Schädel eines Feindes macht, Zivilisation ist es, wenn man dafür bestraft wird.

“Kultur” war in der deutschen Geistesgeschichte immer ein positiver Begriff. Kultur ist verbunden mit Schönheit, Erkenntnis und auch Extase. Viktor Klemperer hat darauf hingewiesen, dass die Romantik diese Sicht auf “Kultur” geprägt hat und dass man daraus alles machen kann, auch Faschismus. Denn bei Kultur geht es um Gefühle: Sehnsucht, Begeisterung, Wut, Triumpf etc, dem gegenüber steht der kalte Begriff der “Zivilisation”, bei dem es um rational allgemeingültiges geht: Regeln, Tatsachen und daraus abgeleitet auch: Toleranz und Gerechtigkeit.
Im Gegensatz zu “Kultur” war “Zivilisation” in der deutschen und europäischen Geistesgeschichte bis zum zweiten Weltkrieg umstritten. Zivilisation erweckte naturgemäß zwar Respekt aber wenig Liebe. Intellektuelle gefielen sich in der Pose des “wilden Denkers”, der kulturelle Konstrukte zu denken wagt, die der (tatsächlich langweilig autoritär daherkommenden) Zivilisation widersprechen. Die moderne künstlerische Freiheit, die daraus entwickelt wurde, gehört zu den wichtigsten Erungenschaften der Aufklärung.

Aber dieses Denken hat eben auch Politiker hervorgebracht, die für sich die gleiche Freiheit beanspruchten. Und Adolf Hitler war einer davon, er hat die Idee der nur vom eigenen Willen ausgehenden Gestaltung der Gesellschaft bis zur letzten Konsequenz zuende gedacht und in die Tat umgesetzt. Ob ihm das bewusst war, bleibt fraglich, Heinrich Himmler und Joseph Goebbels war es mit Sicherheit völlig klar, dass das “NS” Regime ein völliger Bruch mit der Zivilisation seit der römischen Antike war und ein Versuch, eine völlig neue Kultur zu schaffen, der zivilisatorische Grundsätze untergeordnet werden sollten.

Ich weise darauf hin, dass Zyklon B kein Kampfstoff war. Die IG Farben hat das Gas, mit dem in den KZ gemordet wurde, als “Schädlingsbekämpfungsmittel” entwickelt und vermarktet. Es ging nicht darum, feindliche Truppen auf dem Schlachtfeld zu töten, sondern darum, Menschen zu vernichten. Und zwar, nachdem man diese Menschen ideologisch und rituell zu “Nicht Menschen” gemacht hatte. Mit Zyklon B wurden nicht feindliche Truppen getötet, es wurden damit wehrlose Menschen massenhaft vernichtet, so, als hätte es sie nie gegeben, als hätten sie nie Menschen sein sollen. Und die Entmenschlichung ging über den Akt des Mordes hinaus: auch die Körper der Juden, Roma, Kriegsgefangenen, Schwulen, Kommunisten, Männer, Frauen und Kinder wurden als Abfall betrachtet und entsprechend entsorgt.

Es war nur konsequent, dass irgendwann die Idee aufkam, dass man die sterblichen Überreste auch als Material verwerten könnte. Kants “Kritik der reinen Vernunft” wurde als Buch mit Leim gebunden, der aus Menschenknochen gekocht war. Die einfache, persönlich ganz unschuldige deutsche Näherin machte sich für eine Tanzveranstaltung hübsch, indem sie sich mit Seife aus Menschenfett wusch.

Und die Asche und die Gebeine liegen unter Wäldern, Sportplätzen, Autobahnen, Getreidefeldern und Spielplätzen rund um die Stätten der Vernichtung, von denen es viel mehr gab als die handvoll bekannten Todesfabriken.

Darauf hat das ZPS hingewiesen, und dafür gebührt ihnen Respekt.

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Fitting perfectly well into the colours of a meadow since the late Cretaceous. Some 130 million years of learning can do wonders, methinks...