27. May 2012

Grüße aus der Salatschüssel (Sybille Lewitscharoff in der Berliner Zeitung)

Filed under: Freiheit,Kunst,Piraten,Politik — zettberlin @ 00:42

Grüße aus der Salatschüssel (Sybille Lewitscharoff in der Berliner Zeitung)

Liebe Frau Lewitscharoff,

Ich bin sehr erstaunt und befremdet, wenn ich Ihre Stellungnahmen zur aktuellen Urheberrechtsdebatte höre und lese. Ich habe volles Verständnis dafür, dass sie den Aufruf auf wir-sind-die-urheber.de unterschrieben haben. Auch, wenn es eine gewissermaßen freudsche Qualität hat, dass sie denselben gleich zweimal gezeichnet haben. Das Thema ist Ihnen sehr wichtig, das wird an vielen Stellen deutlich. Schließlich sehen Sie sich als Berufsautorin direkt von den Entwicklungen der letzten 10 Jahre betroffen.
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Aber als eine Autorin, die präzise und tiefschürfend komplexe Sachverhalte zu beschreiben vermag, sollten Sie zumindest eine vergleichbare Sorgfalt bei der Beurteilung von vergleichsweise einfachen Dingen wie der Kommunikation im Internet anwenden.

Im Interview mit der Berliner Zeitung sagen Sie:

“Das Internet produziert eher einen Wissenssalat als Wissen, weil hierarchielos der größte Unsinn neben gehaltvollen Gedanken steht.”

Völlig richtig aber schauen Sie sich mal eine durchschnittliche Buchhandlung, Bibliothek oder einen Zeitschriftenkiosk an. Steht da nicht auch hierarchielos völliger Blödsinn neben interessanten, durchdachten Werken? Stehen da nicht die grotesken Ergüsse von Medienpersonen neben den Büchern von Steven Pinker und Friedrich Nietzsche? Da können Sie mit einer Handbewegung Jonathan Franzen, Cory Doctorow, Sybille Lewitscharoff und zwei Bände Wanderhure oder Biss im Morgengrauen in Ihren Einkaufskorb schieben.
Oder meinen Sie: auf einer Webseite stehen gleichzeitig Blödsinn und Nützliches? Dann blättern Sie mal in der Süddeutschen Zeitung, im Spiegel oder in sonst einem hochmögenden, anerkannten Presseerzeugnis: die einzige Hierarchie, die Sie finden werden, ist die gleiche wie die im Internet. Aufmerksamkeit. Was die Aufmerksamkeit von Lesern/Käufern/Konsumenten erregen kann, steht ganz vorne herausgestellt, was nicht, allenfalls unter “Vermischtes” oder eben unter “Special Interest”.

Nun ist es im Internet allerdings auch so, dass die Aufmerksamkeit erst einmal die einzige Währung ist. Geld spielt oft keine Rolle, weil die Technik so billig zu mieten ist, dass sie sich oft gar nicht amortisieren muss. Der Amateur — der Liebhaber also, kann jederzeit für 4-5 Euro im Monat die ganze Welt mit Inhalten versorgen, für die er (oder sie) keinen Cent zurückbekommt.

Dabei entsteht auch viel Unsinn aber selten die gleiche Art von Unsinn, die man in kommerziellen Verlagserzeugnissen lesen kann.

Und die Technik erlaubt eine nahezu unmittelbare Peerreview. In den von Ihnen so verachteten “Plapperforen” wird Unsinn sofort auseinander genommen — sobald er eine gewisse Aufmerksamkeit erregt. Und wer als Autor sachliche Kritik nicht ernst nimmt, wird selbst nicht ernst genommen. Auch ich bin kein Freund von Facebook und ich weiß auch, dass in vielen Foren tatsächlich nur geplappert wird. Aber würden Sie die gesamte Zeitungslandschaft für idiotisch halten, weil Sie in der Bildzeitung täglich völligen Unsinn lesen können?

Ich denke, Sie spielen auf die Arbeit an, die von klassischen Verlagen im Hintergrund geleistet wird: Lektorat etc. Damit haben Sie Recht aber welches Naturgesetz sollte verhindern, dass nicht auch Webseiten lektoriert werden? Und warum kann ein sprachbegabter, gebildeter Mensch nicht auch als halbanonymer Wikipedia-Admin gute Lektoratsarbeit machen? Weil er (oder sie) nicht bezahlt wird? Was würden Sie von einem Lektor halten, der sich nur für die Qualität von Texten einsetzt, wenn er bezahlt wird? Hat nicht die Arbeit mit Sprache und Dichtung auch intrinsische Vorteile, die in vielen Fällen die Motivation durch den Gehaltsscheck überwiegen?
Natürlich ist es am Besten, wenn gute, schöne Areit auch gut bezahlt wird. Und in Fällen, wo der Aufwand nur in Vollzeit zu schaffen ist, muss am Ende normalerweise auch ein Einkommen herauskommen. Ich selbst schreibe auch Artikel für Fachzeitschriften und bestreite damit einen guten Teil meines Lebensunterhalts. Ich schreibe aber auch Texte aus Liebhaberei, ohne Bezahlung aber mit dem gleichen Qualitätsanspruch.

Sie sagen, wie viele andere auch, dass Wikipedia “von Fehlern wimmeln” würde. Nun ja, es gibt tatsächlich Fehler in der Wikipedia. Allerdings macht sich kaum noch jemand die Mühe, Wikipedia mit den auf klassischem Wege von bezahlten Redakteuren geschriebenen Enzyklopedien zu vergleichen. Weil diese schon vor Jahren nur noch in Sachen schriftstellerischer Qualität mithalten konnten. Die Zahl der sachlichen Fehler in Wikipedia liegt in den meisten Tests unter der Rate, die in klassischen Lexika zu finden ist. Von Vollständigkeit ganz zu schweigen. Ich sehe tatsächlich die Gefahr, dass irgendwann der Glaube aufkommt, dass Dinge, die in der Wikipedia nicht vorkommen, schlicht nicht existieren.

Ich hatte erwähnt, dass mich ihre Aussagen in der Berliner Zeitung befremden. Eine Ihrer Formulierungen ist mir im Vergleich mit der Qualität Ihrer literarischen Arbeit besonders seltsam vorgekommen. Ich meine das Wort von “Wissenssalat”. Was soll das sein? Es gibt für Wissen eine anerkannte Definition und alles, was dieser Definition entspricht, ist Wissen und nichts anderes. Ohne Ihnen Tipps geben zu wollen: “Faktensalat” wäre eine ziemlich unangenehm treffende Beschimpfung gewesen, die sich nicht so leicht entkräften ließe. Die Methode, nach der das Internet sich selbst von Unfug reinigt, trifft überwiegend nur sachlich falsche Informationen. Gegen krude zusammengewürfelte und schlecht formulierte Faktenansammlungen wirkt die Peerreview weit weniger effektiv.

Aber Wissen ist Wissen, egal, ob es in der Encyclopedia Britannica, auf einer babylonischen Tontafel oder auf einer Webseite niedergeschrieben ist. Vor etwa 6 Jahren hat im Spiegel ein so genannter “Experte” gesagt, Wikipedia sei “Meinungswissen”. Das geht auch in die Salatrichtung aber noch darüber hinaus. Ich hatte damals gerade den Eintrag zu Band Black Sabbath für die deutsche Wikipedia geschrieben. Darin hatte ich erklärt, das erste Album der Band sei 1969 aufgenommen und 1970 erscheinen. Das sind ganz einfach Tatsachen, die weder mit Salat, noch mit meiner Meinung irgendetwas zu tun haben. Der Satz, den ich dazu geschrieben hatte, könnte 1:1 auch in der Britannica oder Meyers Lexikon abgedruckt werden, er ist um kein Leerzeichen weniger geeignet als alles, was ein Berufsenzyklopädist hätte schreiben können.

Lassen Sie mich noch eine Ihrer Thesen aus dem Interview so zu sagen philosophisch kritisieren.

“Das allzu leicht Erreichbare ehren wir nicht.”

Das trifft vielleicht aus sportlicher oder calvinistischer oder sonstwie asketischer Haltung heraus zu aber all diese Haltungen sind letztlich neurotisch. Die besten Dinge im Leben bekommen wir geschenkt und viele fallen uns einfach zu. Viele andere gute Dinge müssen wir uns erarbeiten. Allerdings ist man gut beraten, solche Anstrengungen ebenfalls als eine willkommene, erfreuliche Tätigkeit anzusehen. Gerade das sich Aneignen von Kunst hat mit dem, was in den ersten Zeilen des Nibelungenlieds “schwere arebeyth” genannt wird, nichts zu tun. Es ist mir keine Qual, Gitarre spielen zu üben oder eine Sprache zu lernen: es ist mir eine Freude, die ich leider nicht oft genießen kann, weil dergleichen nun einmal schlecht bezahlt wird. Anstrengend ist es bestimmt, wenn man es richtig macht aber eine Qual ist nur und immer eine Tätigkeit, für die man sich nicht interessiert.

Aus dieser Haltung heraus kann ich alles schätzen, was mir gut und schön erscheint. Wenn ich ein großartiges Musikstück bei Youtube herunterlade oder im Radio höre, bleibt es ein großartiges Musikstück, welches ich mir durch konzentriertes Anhören erschließe und aneigne. Dazu gehört auch die Recherche nach Hintergrundinformationen und oft auch der Kauf von ansprechend gestalteten Tonträgern und von Eintrittskarten. Es ist mir nun mehr als einmal passiert, dass ich eine LP gekauft habe (ich kaufe tatsächlich selten CDs und nie Downloads), bei der ich feststellen musste, dass das ganze Album doch nicht so gut wie der eine gute Song oder das vorhergehende Album ist. Und dann kann es schon vorkommen, dass ich *versuche* die Platte doch gut zu finden, weil ich sie ja schließlich mühevoll aufgetrieben und gekauft habe.

Wie falsch das ist, kann man jederzeit in hunderten unendlich öden Musikstücken hören, die von Musikern gespielt werden, die sehr viel Mühe und Arbeit in ihre Virtuosität und leider zu wenig Lust, Geduld und Urteilsvermögen in ihre Musik investiert haben.

Zum Schluss möchte ich Sie um etwas bitten: Weisen Sie die Redakteure der Wikipedia auf die konkreten Fehler in Ihrer Seite hin. Diese gewissenhaften und fleißigen Menschen haben Ihre Kritik in dem Interview sofort aufgegriffen und möchten gerne diese Fehler beseitigen.
Lassen Sie sich auch nicht durch die scharfen Bemerkungen zu Ihrem Interview irritieren. Die private Meinung der Redakteure ist das, was das Wikipediasystem am meisten aus den Artikeln herauszuhalten trachtet.

Ich teile übrigens einige der geäußerten Ansichten, würde diese aber nie und nimmer derart grob formulieren. Mir hat das Interview leider den Eindruck vermittelt, dass Sie das Internet mit seiner anarchischen Freiheit für jeden mit einem gewissen Hochmut betrachten.

Ich würde mich freuen, wenn Sie sich die Arbeit machen würden, sich zum Internet Wissen anzueignen und dadurch eine differenziertere Haltung. Vielleicht auch eine noch schärfer ablehnende aber bitte etwas sachlicher und präziser als in diesem Interview.

alles Gute

Hartmut Noack, Berlin

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Fitting perfectly well into the colours of a meadow since the late Cretaceous. Some 130 million years of learning can do wonders, methinks...